Kamera aus – Warum wir bei Online Veranstaltungen auch mal „unsichtbar“ sein können
In den letzten zwei Jahren der Pandemie saßen viele von uns in unzähligen Online Veranstaltungen. Kamera an, gehörte dabei zum guten Online Umgangston dazu, denn es ist toll, sich wenigstens online sehen zu können. Doch alle kennen sicher die Situation, wenn man sich dabei erwischt, wie man genervt in die Kamera schaut und das selbst auf dem kleinen Zoomfenster erkennbar ist. Stundenlanges Starren auf Bilder von uns selbst und anderen ermüdet. Denn wir schauen ja unwillkürlich, wenn wir es angeboten bekommen. Also blicken wir auf die kleinen Kamera-Bildchen und versuchen dabei nicht allzu schlecht auszusehen. Doch inzwischen sollten wir uns die Frage stellen: Macht das wirklich Sinn?
Kamera an, was macht das mit uns?
Als Menschen kommunizieren wir gerne auf allen Ebenen und dazu gehört, das Gesicht des Gegenübers zu sehen. Als referierende Person ist diese Art der Kommunikation für uns sogar noch wichtiger, denn während wir sprechen, brauchen wir das Feedback aus den Gesichtern der Teilnehmer:innen. Doch inzwischen verbreitet sich Online Müdigkeit überall. Dabei stellt sich die Frage, kommt das nur davon, dass wir einfach Offline Treffen vermisst haben oder arbeiten wir offline vielleicht wirklich besser zusammen? Sollten wir unsere Online Veranstaltungen also wieder reduzieren und hoffen, dass die Pandemie bald für immer vorbei ist? Oder gibt es Gründe für diese Online Müdigkeit, die wir vielleicht ignorieren. Welche Rolle spielen dabei die kleinen Kamera-Bildchen der Teilnehmenden von Online Veranstaltungen?
Kamera an für alle bringt uns ein Gruppengefühl, wir sehen alle und lernen uns wenigstens visuell kennen. Später trifft man Menschen manchmal offline und hat dieses Gefühl von, wir kennen uns ja schon. Als Referent:innen haben wir oft ein ungutes Gefühl dabei, online eine Präsentation zu zeigen und keine Menschen dabei zu sehen. Die meisten sprechen nicht gerne ins Leere. Deshalb bestehen wir darauf, dass die Kamera von allen an bleiben soll. Manche Referent:innen reden gleich frei ohne Präsentation direkt in die Kamera und alle anderen behalten diese dann auch an. Das scheint selbstverständlich. Aber ist das nicht zu kurz gedacht? Zwar fühlt sich der oder die Redner:in meist entspannt vor der Kamera, denn er oder sie ist konzentriert auf das Thema. Aber die Teilnehmenden, die sehen meist unbewusst zumindest ab und zu auch auf ihr eigenes Bild. Alle kennen das. Und selbst wenn man sich nicht selbst betrachtet, man starrt auf den Bildschirm und im Hinterkopf weiß man, man selbst ist sichtbar vor der Kamera. Entspannung sieht anders aus. Dazu kommt: Online Veranstaltungen machen schon allein durch die starke Konzentration auf den Bildschirm, auf kleine technische Schwankungen, die sich durch flackernde Bilder oder Ton bemerkbar machen, müder. Unser Gehirn, unsere Augen arbeiten auf Hochtouren während einer Online Veranstaltung, sind in Dauerkonzentration gefordert, ohne dass wir es wirklich bemerken. Hinterher fällt oft auf, dass man Dinge nicht mehr im Kopf hat und erschöpft ist. Ein Grund, weshalb Online Veranstaltungen den Ruf haben, schlechtere Ergebnisse zu bringen.
Kamera aus und alles wird besser?
Kamera aus, dann macht doch jede:r Teilnehmer:in, was er oder sie will. Das ist der erste Gedanke, den die meisten wahrscheinlich haben. Durch die fehlende körperliche Anwesenheit, fehlt auch die Rückkoppelung an Teilnehmende einer Online Veranstaltung. Diese hofft man durch die Kamerabilder wenigstens zum Teil ersetzen zu können. Ein grundsätzlich richtiger Gedanke. Doch wir brauchen eine entspannte Atmosphäre, wenn wir lernen wollen, wenn wir fokussiert zuhören wollen, gerade über längere Zeit hinweg. Zu verlangen, dass alle ständig die Kamera an haben, ist also nur der einfache Weg, nicht unbedingt der bessere. Vertrauen wir lieber darauf, dass unsere Inhalte alle mitreißen und achten bei uns selbst als Veranstalter:innen darauf, dass wir gut rüber kommen. Gönnen wir den Teilnehmer:innen bewusst innerhalb der Veranstaltung entspanntes Zuhören ohne Kamera und nutzen lieber Energizer, um wieder zusammenzukommen. Vorträge, die kurz sind und durch passende kollaborative Pausen mit Energizern ergänzt werden, lassen das Gruppengefühl lebendig werden und laden zur aktiven Teilnahme an der Veranstaltung ein, auch wenn man beim Zuhören zeitweise unsichtbar ist.
Online kreativ an gemeinsamen Projekten arbeiten
Und in Besprechungen oder Veranstaltungen, bei denen an gemeinsamen Ergebnissen gearbeitet wird? Hier gehört es ja quasi zum guten Online Ton, dass man sich ins Gesicht schaut. Das ist bei kurzen Meetings auch kein Problem und mit kurz ist rund eine Stunde gemeint. Aber selbst da gibt es inzwischen Erkenntnisse, dass die ständige Fokussierung auf Kamerabilder unsere Kreativität hemmt. Wir sind als kreative Menschen darauf gepolt, unser Auge auch mal schweifen zu lassen, uns Anregungen aus der Umgebung zu holen. Der Blick aus dem Fenster ist deshalb kein Zeichen von Unaufmerksamkeit. Ein ständiges Starren auf die immer gleichen Menschen auf dem Bildschirm kann kontraproduktiv sein. Kamera aus, Tool an, sollte deshalb die Devise lauten, zumindest zeitweise. Denn mit einem guten kollaborativen Online Tool lässt es sich super brainstormen und dabei ganz entspannt aus dem Fenster schauen.
Also schalten wir die Kamera generell alle aus?
Das „Kamera-Dogma“ muss weg, nicht die Kamera an sich. Sie ist eine Errungenschaft, die wir viel zielgerichteter nutzen sollten. Wir sollten uns alle frei machen von Kamera-Zwang, allerdings ohne ein neues Dogma zu schaffen und Kameras nicht mehr zu nutzen. Vielmehr sollten wir direkt festlegen, wann wir die Kamera zwingend möchten und wann sie nicht notwendig ist. Unsere Veranstaltungen gut zu planen und die Aktivierung von Teilnehmenden durch Tools oder Methoden wie Energizer mit einzuplanen, sollte selbstverständlich sein. So verlieren wir nicht das Gefühl für die Teilnehmer:innen, sondern bekommen Feedback auf unterschiedliche Art und Weise. Pausen sind ein gern unterschätztes Mittel, damit lange Online Treffen erträglich bleiben. Moderation und die vorausschauende Wahl der Methoden ist online eben noch wichtiger.
Fazit:
Gewöhnen wir uns an, die Kameranutzung zu den Methoden zu zählen, die wie alle Methoden gezielt von uns eingesetzt wird. So werden wir sie wieder lieben, die vielen kleinen Kamerabildchen auf unseren Bildschirmen!
Andrea Hettler
Referentin für digitale Bildung
< zurück | 25. Juli 2022